Es liegt in der Natur der Sache, dass ich mich als Redakteurin mit Sprache befasse. Kürzlich stolperte ich über eine Werbekampagne des STARK Verlags und damit über Ausdrücke der (angeblich) aktuellen Jugendsprache, wie zum Beispiel: „Hör auf zu snitchen, Du 31er.“ Ich fragte mich, was dieser Satz wohl bedeuten mochte, wie ich dieser Ausdrucksweise und dem Umstand begegnen solle, dass einem solchen Sprachgebrauch eine Bühne gegeben wird. Ich begab mich auf eine Reise, deren Ziel schmunzelnde Toleranz war.

Ende 2018 startete der STARK Verlag eine integrierte Marketingkampagne, um eine Buchreihe zu Interpretationshilfen der deutschen Literaturklassiker bei Schülern zwischen 13 und 18, Eltern sowie Lehrern zu bewerben. Damit gehöre ich nicht zur Zielgruppe. Meine Schulzeit liegt über 20 Jahre zurück, Lehrerin bin ich auch nicht geworden, und mein Sohn ist erst im Vorschulalter. Auf die Kampagne stieß ich daher über den Umweg horizont.net, wo darüber berichtet wurde.

„Hör auf zu snitchen, Du 31ger“

Der STARK Verlag fasst das Ziel der Kampagne wie folgt zusammen:

In der Marketingkampagne zur neuen Reihe werden Texte von Schriftstellern wie Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe oder Franz Kafka in Jugendsprache übersetzt und crossmedial verbreitet. Ziel ist es, Jugendliche wieder für Literatur zu begeistern und ihnen die zeitgemäße Relevanz von klassischer und moderner Literatur aufzuzeigen.“ – STARK Verlag

In der konkreten Umsetzung sieht das so aus, dass berühmte Zitate aus Literaturklassikern in die aktuelle Jugendsprache übersetzt werden. Diese Übersetzungen werden auf Porträts der Schriftstellergrößen in Pinselschrift dargestellt. Wow! So manch neumodische Formulierung verstehe ich wohl genauso wenig, wie die heutigen „Chantals“ und „Dangers“ die Sprache von Goethe, Schiller und Hesse. Zum Beispiel: „Hör auf zu snitchen, Du 31ger“. Ich habe keinen Schimmer… Google-Recherche sei Dank, konnte ich mein Sprachwissen erweitern und verstehe nun, dass snitchen so viel wie hinhängen bedeutet. Ein 31ger ist schlicht und ergreifend ein Verräter.

Der Begriff leitet sich vom Paragraphen 31 des deutschen Strafgesetzbuches ab, der auch Judas-Paragraph genannt wird, und Kriminellen die Möglichkeit einräumt, eine drohende Strafe abzumildern, wenn diese mit der Polizei kooperieren und Informationen zu Hintermännern und Komplizen liefern – Brudiletten.de

Danke Gangster-Rapper für diesen Neologismus, dem, so muss ich gestehen, überraschend viel Hintergründigkeit inne wohnt.

Jugendsprache – immer wieder einen Aufreger wert

STARK wirbt mit Sprüchen wie „Ich bin 24/7 nur am Grinden“ (Johann Wolfgang von Goethe), „Ich hol mir mein Hak“ (Franz Kafka), „Damn, bin ich wieder lash“ (Hermann Hesse) – und ich verstehe nur Bahnhof. Gleichzeitig klingen diese Worte in meinen Ohren nicht wie Musik, sondern eher hässlich, hart und ungebildet. Doch irgendwie kann ich erfühlen, dass sich junge Menschen cool vorkommen, wenn sie diese Worte in den Mund nehmen – auch wenn es mich dabei irgendwie schüttelt. Dann ertappe ich mich dabei zu denken: „Boah ey, wie mega ätzend reden die jungen Leute denn heute? Voll die assi Sprache!“ Und damit ist alles gesagt. Jeder war einmal jung und hat eine entsprechende Jugendsprache irgendwo in sich schlummern. Ich eben die der 1990ger. Jeder nutzt ab und an ein Vokabular (Jugendsprache, Denglisch, Agentursprech, Milieusprache), das Menschen einer anderen Generation oder aus einem anderen Umfeld die Zehennägel aufdrehen lässt. Reflexion hilft auch hier. Jugendsprache ist nichts weiter, als eine natürliche Weiterentwicklung und Änderung des gesprochenen Wortes. Das lässt sich nicht aufhalten. Warum finden wir das schlimm?

Reg Dich ab und chill mal ein bisschen

Veränderung verunsichert und Verunsicherung verleitet oft zu Intoleranz. Der Mensch sträubt sich allzu oft gegen Neues. Bei manchen scheint es geradezu ein Reflex zu sein. Vermutlich lehnen die meisten Menschen deswegen auch Jugendsprache reflexartig ab und schütteln verständnislos den Kopf. Manchmal auch ich. Jeder von uns legt damit eine Form von Intoleranz an den Tag, die völlig unnötig ist. Denn die Veränderung passiert – egal, ob wir wollen oder nicht. Irgendwann ist das veränderte Wort ganz unaufgeregt normaler Bestandteil unserer Sprache. Oder regt sich heute noch jemand darüber auf, wenn ein Motorrad als Feuerstuhl bezeichnet wird oder man als Verabschiedung ein „Ciao“ (Tschau) zugerufen bekommt? Nein, überhaupt nicht. Und doch sind beides Begriffe, die im Wörterbuch der Jugendsprache 1962 aufgelistet wurden. Während meiner Kurzrecherche über Jugendsprache stoße ich auf allerlei Ausdrücke, bei denen mir bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht bewusst war, dass diese einer früheren Jugendsprache entstammen. Es folgen einige Beispiele: ein Fass aufmachen, abgebrüht sein, gammeln, sich totlachen, meine Kragenweite, genial, dissen, stylen etc. Also rege ich mich ab, und durchstöbere ganz gechilled das Netz nach weiteren Jugendspracheausdrücken, da ich feststellten muss, dass mich deren Lektüre teilweise doch sehr amüsiert.

Schmunzelnde Toleranz

Ich stoße auf mega, krass, würg, yo, Geilomat und sehe mich plötzlich vor meinem inneren Auge mit Buffalos und Hosen im Kuhfell-Print auf Marusha in den ehemaligen Hallen des Münchner Flughafen Riem tanzen – dunz, dunz, dunz. Ach, das waren schon geile Zeiten! Ich lächle. Dann wühle ich mich unter anderem durch die Sammlungen zum Jugendwort des Jahres von Langenscheidt und andere Seiten, die Jugendworte auflisten, übersetzen, erklären. Da sind schon einige Lacher dabei, wie ich finde. Hier eine wahllose Auflistung meiner Favoriten:

  • Lauch (Jemand, der wenig zu sagen und ein schlechtes Selbstbewusstsein hat. Allgemein auch einfach Trottel oder Idiot)
  • Snackosaurus (Jemand, der sehr gefräßig ist und viel essen kann.)
  • breiern (Kofferwort aus Brechen und Feiern. Jemand muss auf einer Party brechen. Statt diese zu verlassen, feiert er weiter.)
  • Axelfasching (Scherzhafte Bezeichnung für viel bzw. starke Achselbehaarung)
  • chillaxen (Mischung als chillen und relaxen)
  • Screenitus (Beschreibung des Erschöpfungsgefühl nach zu langem Konsum von Bildschirminhalten- z. B. PC, Smartphone, Fernsehen)
  • Alugurke (Fahrrad)
  • Bildschirmbräune (Jemand mit blasser Haut, die man bekommt, wenn man zu viel vor dem PC sitzt)
  • Blechpickel (Piercingstecker im Bereich der Nase oder Wange.)
  • Captain Obvious (Jemand, der allzu Offensichtliches nochmals aussprechen muss.)
  • borös (langweilig)

Ich verbringe Stunden damit, mich durch jugendsprachliche Ausdrücke diverser Jahre und Jahrzehnte zu klicken und erlebe ein Wechselbad der Gefühle – mal erstaunt, mal schockiert, aber meistens erheitert und schmunzelnd. Außerdem glaube ich an das Gute im Menschen und damit auch daran, dass gaaanz schlimme Ausdrücke irgendwann out sein werden.

Meine Reise begann mit einem anfänglichen „Geht gar nicht, diese Kampagne“ und endet nun mit einem „So what?“ und „Ich küss Dein Auge, STARK“, was so viel bedeutet, wie Danke STARK Verlag. Deine Kampagne hat mich zum Nachdenken angeregt, ich konnte meinen Horizont erweitern sowie meine Toleranzfähigkeit schulen.

Und jetzt gleich krame ich das Reclam-Heftchen mit „Die Räuber“ von Schiller aus dem verstaubten Bücherregal. Nice, oder? Und total crazy, weil ich das schon lange nicht mehr getan habe. Mal sehen, ob ich dabei Fun haben werde. Und nun tschö vom best Blog-Beitrag ever! LOL!

Fehlen im Beitrag noch tolle Ausdrücke? mail@alexandrawagner.de und ich ergänze diese liebend gerne!

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Quellen und erheiternde Lektüre:

Bild: Screenshot der STARK Verlag-Website: https://www.stark-verlag.de/interpretationen